Bericht von Sabina Räz, erschienen im "Der Ziner" No 15/2020
Der Arzt trägt die Verantwortung über die Lebenden, der Bestatter trägt die Verantwortung über dieToten. Die Arbeit des einen endet dann, wenn jene des anderen beginnt; mit dem Tod. Obwohl es nur diesen einen Berührungspunkt zwischen den beiden Berufen gibt, ergeben sich durch die
Verantwortlichkeit einem Patienten oder Verstorbenen gegenüber Ähnlichkeiten. Sei es aufgrund derArbeitszeiten, den emotionalen Anforderungen oder der Nähe zum Leben, zu dem auch der Tod gehört. Martin Zürcher, ein langjähriger Bestatter und Inhaber des Bestattungsinstituts Harfe, hat sich für ein Gespräch mit mir Zeit genommen, um dem Ziner aus seiner Arbeitsrealität und dem Bestattungswesen, wie es früher war und heute ist, zu erzählen.
Herr Zürcher, Sie arbeiten bereits seit 1991 als Bestatter. Hat sich der Umgang mit dem Tod von damalszu heute verändert?
Ja, das hat er. Früher hat man den Tod totgeschwiegen. Er war ein Tabuthema - was er manchmal auch heute noch ist. Als ich begonnen habe, als Bestatter zu arbeiten, war es teilweise nicht erlaubt, mit dem als solches beschrifteten Bestattungswagen einen Toten aus dem Altersheim abzuholen. Damit der Transport versteckt ablaufen konnte, musste ich am Abend mit einem unkenntlichen Wagen in der Garage vorfahren. Zum Glück hat seit damals ein Umdenken stattgefunden. Für mich hat es mit der Würde des Menschen zu tun, dass man den Verstorbenen nicht über einen Hinterausgang hinausschleust.
Die Bestattungskultur hat sich auch in anderen Punkten geändert. So hatte man früher viel häufiger Erdbestattungen als heute. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einerseits die Verbundenheit mit dem Heimatdorf sowie die religiöse Tradition, andererseits finanziellen Aspekte, die natürlich nicht unwesentlich sind. Und auch die Digitalisierung hat unser Geschäft verändert. Heute gibt es digitale Friedhöfe, auf denen man online Abschied nehmen kann.
Als Bestatter gehören der Tod und der Anblick von Toten zum Alltag. Wie findet man in diesen Beruf? Braucht es ein persönliches Erlebnis dazu?
Ich glaube jeder Bestatter ist von seinem eigenen Hintergrund geprägt. Ich bin in Basel aufgewachsen und habe 1983 als einer der ersten Männer in der Schweiz die Ausbildung zum Krankenpfleger abgeschlossen. Nachdem ich Erfahrung auf verschiedenen Stationen des Spitals sammeln konnte, übernahm ich im Alter von 28 Jahren die Leitung eines Pflegezentrums. Der Wechsel in die Hauspflege entsprach mir und ich baute bald darauf mit meiner damaligen Partnerin einen privaten Pflegedienst auf. Der Kontakt zu den Angehörigen und auch zum Sterben wurde dadurch noch intensiver, weil wir im Unterschied zur regionalen Spitex einen 24 Stunden Service anboten. So konnten wir vielen Menschen ermöglichen, zuhause zu sterben.
Dann waren es der direkte Kontakt mit dem Tod und der Trauer der Angehörigen, die sie dazu gebracht hatten, den Bestatter Beruf zu wählen?
Es war der Kontakt mit dem Sterben und der Trauer einerseits, aber andererseits auch mit dem
damaligen Bestattungswesen. Der Umgang mit den Toten und Angehörigen zu jener Zeit war rau und unpersönlich. Ich verkaufte mein Pflegeunternehmen und baute mein eigenes Bestattungsinstitut auf, weil ich den Toten und den Verbliebenen liebevoller begegnen wollte, als ich es in der Hauspflege erfahren musste.
Sie wollten also an einer Änderung im Bestattungswesen mitwirken. Wie hat sich die Rolle des Bestatters von damals zu heute verändert?
In früheren Zeiten wollte niemand diesen Beruf ausüben. Jedes Dorf hatte seinen Schreiner und dieser Schreiner war der Bestatter – einfach deshalb, weil er die Särge gezimmert hatte. Bestattungswägen gab es auch noch nicht. Man kam in Pferdewägen oder Pickups, auf denen man den Sarg offen transportierte. Als ich begann, steckte alles noch in den Kinderschuhen. Erst mit der Zeit wurde die Arbeit des Bestatters professionalisiert.
Welchen Einfluss oder Vorteil hatte ihre Erfahrung als Pfleger bei diesem Aufbauprozess?
Ich konnte viel von meinem pflegerischen Hintergrund profitieren. Ich hatte zum Beispiel von Beginn an kein Problem mit dem Angesicht der Toten, auch wenn sie von schweren Verletzungen oder einem langen Verwesungsprozess gezeichnet waren. Meine Erfahrung als Pfleger hatte auch einen grossen Einfluss auf die Art und Weise, wie ich meine Firma von Beginn an führte.
Was ist für Sie wichtig in der Arbeit als Bestatter?
Für mich ist klar, die Würde des Menschen endet nicht mit dem Tod. Diese zu respektieren ist eine Voraussetzung für einen Bestatter in meinem Institut. Auch mit den Angehörigen möchte ich einen liebevollen Umgang leben. Es geht nicht darum, sich aufzudrängen, aber man muss für sie da sein und gleichzeitig eine gesunde Distanz wahren können. Es passt nicht, wenn man mit den Angehörigen weint. Die Trauer können wir ihnen nicht abnehmen, aber wir können offen und interessiert zuhören. Ich habe so bereits viele schöne und traurige Geschichten erzählt bekommen.
Ähnlich wie in der Medizin verdienen Sie als Bestatter an einer Krankheit oder einem Unfall, der zum Tod führt. Sozusagen also am Leid von anderen Menschen. Wie gehen Sie damit um?
Schwierig ist, dass unsere Arbeit in einer Situation einsetzt, die für unsere Auftraggeber emotional belastend ist. In diesem Moment besteht keine Toleranz für Fehler. Wodurch eine Parallele zur Arbeit des Arztes oder der Ärztin aufgezeigt wird.
Braucht man es ein gewisses Alter als Bestatter?
Nein, grundsätzlich nicht. Aber es gibt eine gewisse Reife, aus Schutz der Psyche. Wenn man im
Bestattungswesen arbeitet, macht man einen Prozess durch. Man sieht eigentlich alles, was man nie sehen möchte. Und das geht einem nahe. Ich glaube, man erlebt dadurch auch eine Relativierung und sieht das Relevante im Leben etwas klarer.
Während der Coronakrise war es in unserem Land für viele Angehörige nicht mehr möglich,
sich von ihren geliebten Menschen zu verabschieden. Wie haben Sie diese turbulente Zeit erlebt?
Dass es nicht mehr möglich ist, sich von einem geliebten Menschen zu verabschieden, ist überhaupt nicht schön. Die Verstorbenen wurden direkt nach dem Tod isoliert und in die Pathologie gebracht, wo sie vorbereitet werden. Der Leichnam wurde in eine Hülle verpackt, gekennzeichnet und von uns, den Bestattern ins Krematorium gebracht. Auch dort war im Lockdown ein Abschied für die Angehörigen nicht möglich. Diese Zeit war wirklich schwierig. Die Angehörigen waren gefangen in der Situation, auch wir konnten in unserer Aufgabe wenig Trost spenden.
Wie sieht Ihr Arbeitsablauf aus ab dem Zeitpunkt, wenn sie an einen Toten herantreten?
Nachdem ein Arzt oder eine Ärztin die Todesbescheinigung ausgestellt hat, werden wir gerufen. Wenn ein Toter zuhause verstorben ist, besteht unsere Aufgabe aus dem Waschen und kompletten Ankleiden des Toten. Danach legen wir den Toten in den Sarg und geben den Angehörigen Zeit, sich zu verabschieden. Dieser Abschied dauert manchmal wenige Minuten, manchmal eine Stunde, während der wir warten. Bis alle dafür bereit sind, dass wir den Verstorbenen mitnehmen.
Im Bestattungsinstitut bereiten wir den Toten auf die Aufbahrung vor und unterstützen die Angehörigen bei Bedarf in der Planung und Organisation der Beerdigung und allem, was damit verbunden ist.
Bei all diesen Prozessen sind es die Feinheiten, die im Umgang mit dem Toten und den Angehörigen wichtig sind. Zum Beispiel das langsame Schliessen des Sargdeckels, das auf eine Art die Endgültigkeit des Lebens besiegelt. Wir müssen den Angehörigen für diesen Schritt Zeit lassen.
Was geschieht mit jenen Toten, die keine Angehörigen oder Freunde haben?
Es gibt sehr wenige Tote, die wirklich keine auffindbaren Angehörigen haben. Wenn dies trotzdem der Fall ist, werden natürlich auch diese Menschen gleichbehandelt. Die Bestattung kann einfach und doch würdevoll sein.
Der Tod ist kein leichtes Thema. Auch nicht, wenn er jeden Tag zum Thema wird. Wie grenzen Sie sich emotional von ihrer Aufgabe als Bestatter ab?
In meinem Beruf ist die Psychohygiene sehr wichtig. Immer wenn ich Kundenkontakt habe, bin ich in Schale. Das ist wie ein Ritual und ein Schutz für mich. Man fühlt sich wie in einem Panzer. Natürlich geht es auch um den Respekt vor den Angehörigen. Ausserdem habe ich einen gesunden Abstand zwischen meinem Zuhause und meinem Arbeitsplatz. Diese klare räumliche Trennung, sowie ein gutes familiäres Umfeld sind für mich wichtig.
Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz ermöglichen es heute vielen Menschen, selbstbestimmt aus dem Leben zu gehen. Als Bestatter nehmen Sie dabei sowohl die Planung als auch die Zeit nach dem Tod war. Wie erleben sie diesen Prozess und die Reaktionen der Verbliebenen?
Man darf nicht unterschätzen, dass es viel braucht, die Entscheidung für den Freitod zu treffen. Es braucht einen reifen und offenen Umgang mit dem Tod, sonst wird es schwierig für alle Beteiligten. Wir merken häufig, dass nach dem Freitod eine ruhige Atmosphäre unter den Angehörigen herrscht. Sie müssen sich zwingendermassen bereits frühzeitig mit dem Tod auseinandersetzen. Belastende Themen, die dabei aufkommen, sind oftmals bereits besprochen und verdaut.
Wie unterscheiden sich die Bedürfnisse zwischen den verschiedenen Kulturen, was Bestattungen angeht?
Es gibt grosse kulturelle Unterschiede in der Bestattungskultur zwischen verschiedenen Ländern und Regionen. In der französischen und italienischen Schweiz ist die Sterbekultur viel stärker ausgeprägt. Der Tod wird mehr zelebriert, was sich auch in den Geldsummen wiederspiegelt, die für die Bestattungen ausgegeben werden. Das Sterben wird mehr als Teil des Lebens akzeptiert.
Wieso heisst ihr Bestattungsinstitut Harfe?
Dies war ein Herzensentscheid. Personifizieren wollte ich mein Unternehmen nicht und der Name gefällt mir bis heute. Leider trifft dies nicht auf alle zu. Einige Harfenisten und Harfenistinnen sind überhaupt nicht glücklich, dass ich mit meinem Bestattungsinstitut diesen Namen besetzte.
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